Der Eid des Verräters

Einleitung

Wir schreiben das Jahr 2364 des Eisernen Zeitalters.

Nachdem er im Wald der Verfluchten an der Seite des Weißen Schattens gegen vielerlei Widrigkeiten ankämpfen musste, hat Naron mit seinen Begleitern endlich die Grenze nach Erbarior überschritten.

Doch auch dort bleibt ihm nur wenig Zeit zu Verschnaufen, sind doch dunkle Mächte hinter seinem Begleiter Rexian, dem König von Erbarior, her. Nicht nur die Mursogi unter Omrunas trachten dem König und seinem tapferen Helfer nach dem Leben – auch aus den eigenen Reihen droht ihm so manche Gefahr.

So findet sich Naron alsbald inmitten eines Netzes von Ränken wieder, die mächtige Fürsten und Hauptmänner um sich schmieden. Mehr und mehr wird er selbst zur Zielscheibe. Unterstützung erhält er schließlich von höchst unerwarteter Seite…


Taucht in die Naron-Sage ein, wie es Euch beliebt:


Leseprobe aus Kapitel XX

Als Naron das Lager der Mursogi betrat, fand er sich in einem wilden Durcheinander wieder. Wie Ameisen wuselten Mursogi herum, die von allen Seiten auf die Schlachtreihen der Erbaren eindrangen. Es war zwar keine wirkliche Übermacht, jedoch genug, um die Eindringlinge in Schach zu halten und zu verhindern, dass diese weiter in das Innere des Lagers vorstießen.
Hinter der Wand aus Feuer gab es einen niedrigen, mit Pfählen gespickten Erdwall, ähnlich dem, der das erbarische Lager umgab. Dieser war jedoch ziemlich löchrig und eben dort, wo Naron die Bresche geschlagen hatte, gab es eine breite Lücke, durch die man die schwarzen Zelte des Lagers sehen konnte.
Naron wurde von zwei Mursogi mit Krummschwertern begrüßt, die er jedoch mit einer schnellen Drehung und drei Schwerthieben zur Strecke brachte. Dann fand er sich einem Wraschag gegenüber, der eine tödliche Keule nach ihm schwang. Das Mischwesen hieb jedoch weit daneben, sodass es Naron gelang, auch diesen Gegner zu Fall zu bringen.
Die Sonne stand hoch am Himmel. Es schien tatsächlich, als würde dies den lichtscheuen Wesen zum Nachteil gereichen. Sie kämpften zwar verbissen, doch scheinbar geistesabwesend, wie als würden sie nicht ganz begreifen, in welcher Gefahr sie schwebten.
Mit einem lauten Kampfschrei durchdrang nun auch Krinoin das Loch in der Feuerwand. Wieder hoch zu Ross durchpflügte er an der Spitze seiner Reiterei das Schlachtfeld mit seinem Schwert und erschlug mehrere Feinde.
Alles in allem, erkannte Naron, als ihm eine kleine Verschnaufpause gegönnt wurde, stand es gar nicht so schlecht für die Truppen Erbariors. Vor allem, wenn man bedachte, dass ständig weitere Soldaten ins Lager strömten und im Wald immer noch viele hundert Mann Verstärkung warteten.

Die Reiter säuberten den Bereich zwischen Feuer und Erdwall von Feinden, während die Fußsoldaten in geschlossenen Schlachtreihen ins Innere des Lagers vordrangen. Die Mursogi wurden immer weiter zurückgedrängt. Der Sieg war in greifbarer Nähe.
Ein lautes, durchdringendes Dröhnen erhob sich über den Schlachtenlärm. Naron horchte auf. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Hier und da drehte sich jemand suchend nach der Ursache des unheilverheißenden Geräusches um. Die meisten jedoch, waren zu sehr in ihre Kämpfe vertieft, um etwas davon zu bemerken.
Ohne Vorwarnung barst die Feuerwand. Flammen züngelten gen Himmel und ein glühender Hagel ging über der Lichtung und dem angrenzenden Wald nieder. Naron hob schützend den Schild, während einige in seiner Nähe – Menschen und Mursogi – in weinrote Flammen gehüllt wurden.
Die Kämpfe verebbten, als Freund und Feind erstaunt und verwirrt zum brennenden Himmel aufblickten. Die Flammen jedoch schienen kaum Schaden anzurichten. Hier und da fing ein Helmbusch oder ein Zelt Feuer, Rüstungen, Kleidung und nackte Haut blieben unberührt. Auch von den zurückbleibenden Bränden ging keine richtige Hitze aus.
Der Schreck dauerte nur einige Augenblicke, dann kehrte der Kampf in alter Härte zurück. Die Feuerwand war verschwunden. An ihrer Stelle umschloss nur noch ein etwa zwei Fuß breiter, dunkler Ring das Lager. Da er im Augenblick von keiner Seite bedrängt wurde, sah Naron sich verwirrt nach der Ursache des unerwarteten Ereignisses um.
Am Rande der Lichtung hatten sich die erbarischen Truppen in einem teilweise abgebrannten Waldstück versammelt. Doch sie hatten leider Gesellschaft bekommen. Von Westen her strömten Heerscharen von Mursogi über die Hügel und verwickelten sie in eine heftige Schlacht. Anscheinend hatte auch der Feind einen Teil seiner Streitmacht zurückgehalten.
Und da sah Naron sie – eine kleine, gebeugte Gestalt, nicht größer als die angreifenden Mursogi, die sich jedoch sehr viel schneller und zielgerichteter bewegte als diese. Sie trug eine hässliche dunkel schimmernde Rüstung, die zum größten Teil unter einem pechschwarzen Umhang verborgen war. Zwei lange, gezackte Dolche fuhren in ihren Händen auf und ab, wann immer sie auf erbarisches Fleisch trafen.
Obwohl eine schwere Kapuze den Kopf verhüllte, sodass das Gesicht nicht zu sehen war, gab es für Naron keine Zweifel, mit wem sie es zu tun hatten. Omrunas war gekommen.

Indem er alles andere außer Acht ließ, eilte Naron mit dem Schwert in der Hand dem Anführer des feindlichen Heeres entgegen. Am Rand des Lagers trafen sie schließlich aufeinander. Omrunas hielt einen Augenblick inne, als er den großen Krieger in der schwarzen Lederrüstung wahrnahm, der sich ihm in den Weg stellte. Naron entledigte sich seines Schildes und Helmes, um beweglicher zu werden. Er wusste, dass er bei Omrunas sehr schnell sein musste.
»Naron aus Reruwalt, welch unerwartete Freude«, zischte Omrunas, in seinem üblichen Tonfall, der eine Mischung aus Verachtung und Belustigung ausstrahlte.
Naron sah, wie sich der unförmige Mund seines Feindes unter der Kapuze zu einem hässlichen Grinsen verzog. »Die Freude ist ganz meinerseits«, erwiderte er mit einer spöttischen Verbeugung. »Ich hätte nicht erwartet, dass sich ein so hohes Tier wie Ihr auf dem Schlachtfeld herumtreibt.«
»Und ich hätte nicht erwartet, dass du immer noch die Gesellschaft dieser erbarischen Strohköpfe suchst«, sagte Omrunas. »Was erhoffst du dir davon?«
»Besser Erbaren als Mursogi«, entgegnete Naron schulterzuckend. »Aber ein bisschen verwundert bin ich schon. War es nicht eigentlich Euer Ziel, die vier Schlüssel an Euch zu bringen? Was kümmert es Euch da, wie sich die Mursogi gegen die Erbaren schlagen? Sagt bloß, Ihr habt es noch immer nicht geschafft, den letzten Schlüssel zu finden?«
Omrunas‘ hämisches Grinsen verblasste.
»Kann es sein, dass sich Eure liebe Verbündete Virisare geweigert hat, Euch den Aufenthaltsort des Schlüssels zu verraten, bevor Ihr ihr gebt, wonach sie verlangt?«, mutmaßte Naron. Er gab sich dabei Mühe, nicht an den Reif zu denken, der unter dem Handschuh an seiner Linken verborgen lag.
Anscheinend hatte er einen wunden Punkt getroffen, denn Omrunas zischte wütend. »Pah. Was weißt du schon?«, knurrte er. »Um die Schlüssel werde ich mich zu gegebener Zeit kümmern. Unglücklicherweise wirst du nicht lange genug leben, um mitzuerleben, wie ich mein Ziel erreiche.« Er schüttelte einen seiner langen Dolche. »Du hast dich lang genug in meine Angelegenheiten eingemischt, Mann aus dem Süden. Du hättest deine Heimat nie verlassen dürfen. Erwarte keine Gnade von mir! Dass ich dich so lange mit dem Leben davonkommen ließ, war sehr nachlässig von mir. Ich werde den Augenblick genießen, in dem ich deine Schultern von deinem hochmütigen Kopf befreien werde.«
Die beiden begannen einander drohend zu umkreisen. Während Omrunas seine Dolche mit gewandten Wirbeln drohend durch die Luft schneiden ließ, hielt Naron sein Schwert ganz still. All seine Aufmerksamkeit war auf diesen einen Feind gerichtet.
Bei ihrer ersten Auseinandersetzung war er dem Anführer der Mursogi jämmerlich unterlegen gewesen. Die Dolchhiebe des entstellten Schurken hätten ihn beinahe in das nasse Grab eines eiskalten Bergsees befördert, wäre der Weiße Schatten nicht zur Stelle gewesen, um ihn zu retten.
Ihr zweiter Kampf war freilich anders verlaufen. Damals hatte Naron schon gewusst, womit er es zu tun hatte und sich dementsprechend vorbereitet. Inmitten einer ungleichen Auseinandersetzung mit den Mursogi war es ihm gelungen, Omrunas vor seinen eigenen Gefolgsleuten bloßzustellen. Mit einem gezielten Dolchwurf hatte er die Hand des Feindes durchbohrt und den erbeuteten Schlüssel zurückgewonnen. Hätte er damals nicht aus Mitleid mit dem verwundeten Gegner die Hand zurückgehalten, hätte er diesen Krieg vielleicht auf der Stelle beenden können. Sein Zögern hatte Omrunas nicht nur die Gelegenheit zum Gegenschlag gegeben, sondern auch die Flucht mit dem Schlüssel ermöglicht.
Allerdings schien dieser ungewisse Ausgang ihres letzten Kampfes Omrunas ebenso zuwider zu sein, wie Naron. Im gesunden rechten Auge des Mursogführers loderte der Hass auf sein Gegenüber, während das aufgeschwollene linke blind ins Leere starrte.
Nun standen sich also Naron aus Reruwalt, der Beschützer des Reiches Erbarior, Retter Rexians und Träger des Schlüssels und Menor Omrunas, der Sohn König Molvons von Amrian, Diener des Herrn der Finsternis und Anführer der Mursogi, auf dem Schlachtfeld dieses wahnwitzigen Krieges zum dritten Mal von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
Einen Augenblick lang dachte Naron darüber nach, was wohl geschehen würde, sollte er diesen Kampf verlieren. Sein Feind würde ihm den Schlüssel aus seinen kalten, toten Händen entreißen. Der Herr der Finsternis würde erscheinen und den Krieg zu Gunsten seiner Diener, der Mursogi entscheiden. Rexian, Krinoin und all die anderen Erbaren, der Verräter Bormias, Lurano und Narons Ziehvater Narvanros, der Weise Erpantius und auch Alurion, der Weiße Schatten; sie alle würden in einem letzten verzweifelten Kampf um ihr Land, das Leben ihrer Freunde und ihr eigenes, eines ruhmreichen Todes sterben.
Naron schüttelte sich und verdrängte diese Gedanken. Schon allein um das Eintreten all dessen zu verhindern, durfte er diesen Kampf nicht verlieren. Und er würde ihn nicht verlieren, dachte er und setzte ein grimmiges Lächeln auf.