
Einleitung
Wir schreiben das Jahr 2368 des Eisernen Zeitalters.
Die Schlacht bei Dyrania ist geschlagen. Antoxa, die Meereshexe, die Anotur jahrhundertelang heimgesucht hat, ist tot. Unter der Herrschaft seines neuen Königs bricht für das Reich ein Zeitalter des Friedens und Wohlstandes an.
Längst hat sich Naron an seine neuen Lebensumstände gewöhnt und nicht länger hadert er mit der Bürde seiner Herkunft, als beunruhigende Neuigkeiten ihn erreichen. So zieht er aus, um den hart erkämpften Frieden zu erhalten und wird dabei an die gewaltige Finsternis erinnert, die jenseits des Meeres lauert und mit jedem Tag stärker wird.
Krieg, Tod und Zerstörung halten dort unter einem von finsteren Wolken verdunkelten Himmel Einzug, während sich ein Verhängnis in Gang setzt, das niemand aufzuhalten vermag.
Schon bald sehen sich Naron und seine Gefährten abermals vor weitreichende Entscheidungen gestellt, die über das Schicksal Abertausender bestimmen mögen …
Lasst Euch von den Winden des Schicksals tragen, wie es Euch beliebt:




Leseprobe aus Kapitel IV
Traurige grüne Augen starrten Naron ungläubig aus einem von wallendem, rotem Haar umgebenen Gesicht heraus an. Langsam sank die Frau zu Boden. Ihr Blut tropfte auf die Pflastersteine. Rot wurden die Blätter des Baumes über ihr, als sie in den Armen des blonden Jünglings ihr Leben aushauchte.
Ein brennender Schmerz weckte Naron aus dem altbekannten Albtraum. Viele Stimmen redeten durcheinander. Schwerfällig schlug er die Augen auf. Um ihn herum war alles hell erleuchtet vom Schein eines Feuers. Phiara saß neben ihm und zerstieß Kräuter in einer Schale. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Gerios gewaltsam einen älteren Mursog mit einer Hand gegen die Wand des Gemaches drückte.
»Es ist mir gleich, ob ihr die Sonne fürchtet, ihr lichtscheues Gesindel!«, fauchte er. »Ihr werdet gefälligst tun, was zu tun ist. Sonst werde ich erst richtig ungemütlich …«
»Gerios! Hör sofort auf damit!«, fuhr Phiara ihn an, ohne sich von ihren Kräutern abzuwenden.
»Ich werde gehen«, sagte Großmeisterin Ahawid. Wie ein steinernes Standbild hielt sie sich im Hintergrund. Ihr dunkles Gesicht war jedoch voller Sorge. So hatte Naron sie noch nie gesehen.
»Aber Ihr wisst doch gar nicht, wonach Ihr suchen müsst«, warf Xylasch ein. Die Gesandte war wohl ebenfalls irgendwo im Raum, doch konnte Naron sie nicht sehen. »Außerdem verbergen sich die Zrykzryk bei Tageslicht an schwer zugänglichen Orten. Bei Nacht könnten wir …«
»So viel Zeit bleibt ihm nicht«, unterbrach Phiara. Sie wirkte seltsam gefasst. So war sie immer, wenn sie ihren Beruf als Heilerin ausübte. »Ein paar Stunden, einen halben Tag vielleicht. Er wird den Sonnenuntergang nicht mehr erleben, wenn wir nichts unternehmen …«
»Ich muss es versuchen«, beharrte Ahawid. Ihre Hand verkrampfte sich am Heft ihres Schwertes. »Bei meiner Ehre als Großmeisterin …«
»Allein werdet Ihr nichts zustande bringen«, sagte eine unbekannte Stimme. Sie war ziemlich rau und gehörte wohl zu einem Mursog. »Ich werde Euch begleiten. Ich weiß, wo immer ein paar Zrykzryk zu finden sind.«
»Aber Wurlyx, die Sonne wird dich verbrennen …«, krächzte der alte Mursog, den Gerios zuvor bedroht hatte.
»Die Sonne … Und wenn schon … Dieser Mann wird sterben, wenn wir nichts unternehmen«, erwiderte der Mursog, der auf den Namen Wurlyx hörte, barsch. »Das dürfen wir nicht zulassen …«
Für einen Augenblick herrschte eisiges Schweigen.
»Das dachte ich mir«, fuhr Wurlyx fort. »Was ist schon Adocs Zorn im Vergleich zu einem Leben?«
»Wenn er stirbt, wird Anotur uns den Krieg erklären«, murmelte Xylasch leise. »Sein Bruder ist weniger freundlich und nachsichtig als er. König Ronagir würde dies wohl sogar willkommen heißen … Ebenso sehr wie die Kinder der Yrrzaair.«
»Es ist meine Schuld«, erklang Cairyzags tiefe Stimme. Offenbar war auch der König von Zuurochor anwesend. »Ich ließ sie zu lange ungestraft gewähren. Dies ist nun der Lohn für meine Nachlässigkeit. Dieser Mann war mein Gast. Die Kinder der Yrrzaair werden dafür zur Rechenschaft gezogen werden … Bei meinem heiligen Namen und dem meiner Ahnen! Mögen die Irdenen und Himmlischen Götter meine Zeugen sein! Sollen mich Adocs grausame Strahlen versengen, wenn ich mein Wort nicht halte!«
»Racheschwüre werden Euch auch nicht vor Dolcios’ Zorn bewahren«, sagte Phiara streng. »Rettet Naron! Das allein kann Eure Schuld sühnen, ehrwürdiger Cairyzag.«
»Wohl gesprochen«, sagte Xylasch.
»Genug der Worte«, warf Wurlyx ein. »Die Zeit arbeitet gegen uns. Wir müssen uns beeilen.«
»Ich werde so schnell wie möglich wiederkehren«, versprach Ahawid. »Bis dahin werdet Ihr über den König wachen, Gerios. Und sorgt dafür, dass keine weiteren Meuchelmörder hier eindringen.«
»Wenn sich jemand in diesem Raum, dieser Stadt, diesem Land meinem Schwager ohne meine Erlaubnis nähert, wird er sich wünschen, dass Dolcios an meiner statt hier wäre«, versprach Gerios grimmig. Phiara schüttelte nur den Kopf.
Schritte entfernten sich. Naron wollte sich eben aufsetzen und allen erklären, dass es ihm gut ginge. Da verlor er erneut die Besinnung.
Auf schnellen Schwingen flog Naron über ein verwüstetes, von dunklen Wolken überdachtes Land. Unter ihm lag eine gewaltige Stadt. Er kannte diese Stadt, doch fiel ihm der Name nicht mehr ein. Soweit das Auge reichte, erstreckten sich vor ihren Mauern Felder nach allen Seiten hin. Doch weder Gerste noch Weizen gediehen dort, sondern Wälder aus Speeren. Ein gewaltiges Heer von Mursogi und anderen Geschöpfen, die er zum Teil noch nie zuvor gesehen hatte, belagerten die scheinbar unüberwindbaren Mauern der Stadt.
Von den Türmen und Zinnen aus ließen Menschen in abgetragenen Rüstungen Pfeile, Steine und Wurfgeschosse auf das Heer herabregnen. Ihr Widerstand war erbittert, doch war kaum zu übersehen, dass die Verteidiger der Stadt am Ende ihrer Kräfte waren. Die Wehrgänge waren von Leichen übersät, während sich unaufhaltsam hölzerne Belagerungstürme den Mauern näherten und brüllende Mursogi ausspuckten.
Naron erschauderte und wandte den Blick ab. Er flog weiter, Richtung Norden. Wohin er auch blickte, sah er Verwüstung. Felder lagen brach, Dörfer und Städte in Trümmern. Er erblickte die Fluten eines gewaltigen Flusses, der das Land in zwei Hälften teilte und tote Körper mit sich trug. Dem Fluss folgend eilte er weiter nach Nordwesten, wo der Himmel noch finsterer wurde. Er sah Berge und hinter den Bergen erhob sich ein gewaltiger Schatten mit glühenden roten Augen.
Erschrocken hielt Naron inne. Obwohl weit entfernt, hatte er dennoch das Gefühl, diese alles überragende Gestalt müsse nur die Hand nach ihm ausstrecken, um ihn wie eine Mücke zu zerquetschen. So floh er nach Westen über ein Hügelland, das immer noch fruchtbar war. Auch hier sah er Spuren des Krieges, doch weitaus weniger als zuvor.
Über eine weite Ebene zogen Truppen im Eilmarsch. Obwohl sie noch weit entfernt waren, glaubte Naron blonde Erbaren zu erkennen, doch waren auch Aurokanisa mit schmalen Augen unter ihnen. Als der Wind ihn näher herantrug, machte er ein bekanntes Gesicht aus. Es war das Rexians, des jungen Königs von Erbarior. Doch war es nicht der Rexian, den Naron kannte. Gehetzt und zerzaust wirkte der König. Um Jahre gealtert und von Furcht und Gram gezeichnet, bedeckte ein ungepflegter Bart seine eingefallenen Wangen.
Langsam legte sich die Nacht über die Ebene, doch das Heer machte keine Anstalten, ein Lager aufzuschlagen. Unbeirrt zogen die Soldaten weiter nach Nordosten.
Rexians Blick wanderte zum Himmel. Beinahe war es Naron, als würde der König ihn anblicken. Etwas Flehendes lag in seinen Augen. »Hilf mir!«, murmelte Rexian – kaum hörbar und dennoch hallte der Ruf wie ein lautes Donnergrollen in Narons Ohren wider. »Hilf mir …«