Kein Zutritt

Auf der anderen Seite des Schreibtisches öffnete sich ein Tor in eine andere Welt. Ich stieg hindurch und hier bin ich nun – gefangen in einer Stadt, in der der Irrsinn herrscht.

Mit einem flauen Gefühl im Magen öffnete ich die Tür des Laderaumes und stieg aus dem Lieferwagen. Nach der holprigen Fahrt fühlte es sich unbeschreiblich gut an, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Mit einem knappen Nicken verabschiedete ich mich von dem Priester mit dem Revolver und dem unheimlichen Blumenmädchen. Mülltoni, der sich mit den beiden angefreundet hatte, ließ sich ein wenig mehr Zeit.
»Also dann«, sagte ich, indem ich an das offene Fenster auf der Fahrerseite trat.
Die junge Frau am Lenkrad blies mir rosaroten Rauch ins Gesicht. »Das macht dann siebenundvierzig Göld und dreiundzwanzig Tenz«, murmelte sie, während sie gelangweilt mit ihrer Zigarette Löcher in eine hässliche Puppe brannte, die vom Rückspiegel hing. »Bar oder mit Karte?«
»Mein Boss wird sich darum kümmern«, erwiderte ich hustend. Mülltoni gesellte sich neugierig zu mir.
»Was auch sonst?«, seufzte die Fahrerin missmutig. »Ich schicke ihm die Rechnung per Post …« Mit einem grimmigen Lächeln ließ sie den Motor laut aufheulen. Ohne Vorwarnung brauste sie dann mit quietschenden Reifen davon, wobei sie mir beinahe über die Zehen gefahren wäre.
Kopfschüttelnd blickte ich dem weißen Lieferwagen nach, bis er hinter der nächsten Kreuzung verschwunden war. Dann sah ich mich um. Zu allen Seiten ragten heruntergekommene Lagerhäuser in den bewölkten Nachthimmel. Die Straße, die dazwischen lag, bestand fast nur aus Schlaglöchern, in denen sich grünlich schimmernder Schlamm gesammelt hatte. Der Hafen war nicht zu sehen, wohl aber zu riechen. Der widerliche Gestank von vergammeltem Fisch und altem Öl lag in der Luft.
Mein Ziel, das Lagerhaus BH-21, fand ich nicht, doch war es wohl nicht allzu weit entfernt. Zu meiner Rechten entdeckte ich nämlich die Lagerhäuser mit den Nummern BH-18 und BH-19. So rückte ich meinen Mantel zurecht, versicherte mich, dass die Lügenkresse noch da war, und ging los. Mülltoni schlenderte mir fröhlich pfeifend hinterher.
Auf dem Gehsteig waren nur wenige Passanten unterwegs. In dunklen den Gassen zwischen den Lagerhäusern dagegen lungerte allerlei zwielichtiges Gesindel herum. Dort sah ich ein paar Duliöhsüchtige, die sich um eine am Boden liegende Karte prügelten, dort Saurier, die mit Waffen und Elfenbein handelten, dort eine Gruppe Frauen in Weiß, die eine übergroße Ratte über einem Lagerfeuer brieten. Auf der Straße zu meiner Linken rasten währenddessen in regelmäßigen Abständen Polizeiautos mit Blaulicht vorbei.
Hinter Lagerhaus BH-19 kam aus irgendeinem Grund das Haus mit der Nummer 2364, danach 13 und dann 47. Meine Hoffnung auf ein baldiges Ende dieser Irrfahrt schwand dahin.
»Hey, Alter«, meldete sich Mülltoni nach einer Weile.
»Was ist?«, knurrte ich ein wenig gereizt.
»Ich will mich ja nicht in deine Angelegenheiten einmischen und so, aber …«, sagte er, dann verstummte er. Mit nachdenklichem Gesicht begann er die obszönen Graffiti auf der Mauer zu seiner Rechten zu mustern.
»Aber was?«, fuhr ich ihn an.
Mülltoni zuckte zusammen. »Äh, ja. Ich denke, wir sind hier falsch.«
»Sind wir das?«, entgegnete ich. »Und wie kommst du darauf?«
»Wir hätten vorher links gehen müssen«, behauptete Mülltoni. »Das sagt mir meine Intuition, Alter, verstehst du?« Er lächelte mir verschwörerisch zu.
»Deine Intuition?« Ich seufzte angestrengt. »Na, dann sollten wir uns wohl auf deine Intuition verlassen, nicht wahr? Was soll dabei schon schief gehen …« Mit Schaudern dachte ich an unseren Abstecher zu »Doms Döner« und das Sektensandwich. Allerdings hatte ich keine Lust, mit Mülltoni zu streiten. »Also gut. Dann geh mal voraus!«
Mein Begleiter nickte grinsend. »Alles klar, Mann. Du wirst schon sehen. Wir sind in Nullkommanix da.«

Zu meiner großen Verwunderung behielt Mülltoni tatsächlich Recht. Kaum hatten wir die Stelle erreicht, an der wir aus dem Lieferwagen gestiegen waren, erblickte ich auf der anderen Straßenseite die Aufschrift »BH-21« auf einem der Lagerhäuser. Wie hatte mir das vorher nicht auffallen können? Missmutig rieb ich mir die Augen. Ich war wohl schon zu müde für diesen ganzen Unsinn. Es war höchste Zeit für ein Nickerchen. Ich hoffte nur, dass Luigi der Lappen irgendwo eine gemütliche Couch herumstehen hatte.
Nach einem Polizeiauto, das mit heulenden Sirenen einen weißen Lieferwagen verfolgte, huschte ich über die Straße. Mülltoni folgte mir gemächlicher. Das selbstzufriedene Grinsen auf seinem Gesicht war kaum auszuhalten.
Auf dem Gehsteig vor dem Lagerhaus hatten einige Straßenhändler ihre Stände aufgeschlagen. Dort gab es sogar Lügenkresse zu kaufen. Zumindest behauptete der heruntergekommene Händler das, der mir ungefragt eine Schale mit seiner Ware unter die Nase hielt. Ich wimmelte ihn ab. Er war zweifellos ein Betrüger, wie fast jeder in dieser Stadt.
An den Ständen vorbei gelangte ich zur Eingangstür der Lagerhalle. Zwei finstere Gesellen in abgetragenen Anzügen mit Maschinenpistolen standen davor Wache. Ihre Gesichter kamen mir bekannt vor, was jedoch nicht viel zu bedeuten hatte. Einer von Horses’ Handlangern sah aus wie der andere. Schon daran erkannte ich, dass ich hier richtig war. Wäre das nicht genug gewesen, standen in der angrenzenden Gasse noch ein halbes Dutzend unscheinbarer Lieferwägen, die gerade von ebenso finsteren Gesellen mit Schachteln voller gefälschter Duliöhkarten beladen wurden.
Als ich auf die Tür zutrat, versperrten mir die beiden Wächter den Weg. »Zisch ab! Hier gibt es nichts zu sehen!«, knurrte mich der eine an. Während er den Lauf seiner Waffe streichelte, nickte er in Richtung eines Schildes an der Wand. »Kein Zutritt für Polizisten, Duliöhsüchtige und Kakerlaken« stand dort zu lesen.
»Big Horse schickt mich«, sagte ich ungerührt. »Ich bringe Lügenkresse für Luigi den Lappen.«
»Lügenkresse?«, erwiderte der Wächter. »Du willst mich wohl für dumm verkaufen. Wofür braucht der alte Luigi Lügenkresse?«
»Ich weiß nicht, Brutus«, mischte sich sein Kollege ein. »Luigi braucht doch immer irgendetwas. Gestern musste ich ihm Essigkrapfen besorgen …«
»Kann schon sein«, erwiderte der Mann namens Brutus. »Aber dich kenne ich, Stultus, diesen Kerl da nicht.« Er hielt mir seine Waffe unter die Nase. »Wer sagt mir, dass du kein Bulle bist? Du siehst mir ein wenig danach aus …« Erneut nickte er in Richtung des Schildes an der Wand.
Ich schnaubte belustigt. Ich? Ein Polizist? »Warum fragt ihr nicht einfach bei Luigi nach? Oder gleich beim Boss? Sie werden euch bestätigen können, dass Randalf der Raue Lügenkresse für die Suppe bringt.«
»Randalf der Raue?«, kicherte der andere Wächter. »Deine Eltern müssen dich ganz schön gehasst haben …«
»Der Boss nennt mich so«, bemerkte ich ein wenig verärgert. »Eigentlich heiße ich gar nicht so. Mein Name ist …«
»Mir egal«, unterbrach mich der Wächter. Er zückte ein altmodisches Funkgerät, in das er irgendetwas Unverständliches hinein nuschelte. Es dauerte eine Weile, bis die Antwort kam. Diese war ebenso unverständlich. Die Augen des Mannes verengten sich. Dann richtete auch er seine Waffe auf mich. »Luigi kennt keinen Randalf. Verschwinde von hier!«
Mein Ärger wuchs. Langsam wurde ich sogar richtig wütend. Nicht nur auf die beiden Handlanger, die mir den Weg versperrten, sondern vor allem auf meinen Boss und Luigi den Lappen. Schon hatte ich den Eindruck, es würde den beiden Spaß bereiten, mir Steine in den Weg zu lagen. Schon hatte ich das Bedürfnis, einfach unverrichteter Dinge nach Hause zu gehen. Doch das ließ mein Stolz nicht zu.
Noch war nicht alles verloren. Mir blieb noch eine Möglichkeit, mir Zutritt zu verschaffen, auch wenn ich nicht gerne darauf zurückgriff. Horses’ Handlanger hatten nämlich alle dieselbe, entscheidende Schwäche. »Ich fordere euch zu einem Spiel heraus«, sagte sich, indem ich meine Duliöhkarten zückte.
Die beiden Wächter blickten einander ungläubig an. »Du wagst es?«, knurrte Stultus.
»Ja, ich wage es«, erwiderte ich. »Wenn ich gewinne, lasst ihr mich durch. Wenn ich verliere …«
»… dann wirst du uns bis ans Ende deiner Tage mit Vanilleeis versorgen«, schlug Brutus vor.
»Von mir aus«, sagte ich, indem ich mit den Schultern zuckte. Ich hatte nicht vor, dieses Spiel zu verlieren.
»Wir nehmen die Herausforderung an!«, riefen die beiden Wächter mit einer Stimme.

Da es vor der Lagerhalle keinen Tisch gab, machten wir es uns auf dem Boden gemütlich. Da ich allein gegen zwei spielte, war ich klar im Nachteil, was sich jedoch als kein allzu großes Problem erwies. Brutus und Stultus waren blutige Anfänger, die Duliöh nicht einmal in den Grundzügen verstanden. Das zeigte sich vor allem darin, dass sie nicht einmal versuchten, die Regeln zu brechen oder zu betrügen. So hatte ich die beiden innerhalb von zwei Zügen mit »Gartengelber Großgeldgriesgrundgraf« und »Validvulgäre Vulkanvampirveganerventilvarianz« so geschickt ausmanövriert, dass sie keine andere Wahl hatten, als sich geschlagen zu geben.
»Also dann«, sagte ich, indem ich meine Karten zusammenpackte und mich erhob. »Luigi der Lappen wartet. Ich werde ihn von euch grüßen.« Vorbei an meinen besiegten Gegnern, die ungläubig auf ihre am Boden verteilten Karten hinabstarrten, betrat ich das Gebäude.

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